Aus dem Leben gegriffen …
2009, beim 43. Festival, laufen Filme von Marco Bellocchio, Fassbinder, Wenders, Haneke und Chabrol. Allerdings ist keiner von ihnen neu: Sie gehören zur Werkschau, in deren Mittelpunkt ein Schauspieler steht, der den Aufbruch eines neuen europäischen Kinos mitgeprägt hat: Lou Castel. Später wurde er selbst Regisseur und arbeitete mit experimentellen Filmen »am Verschwinden des Bildes«.
Das aktuelle Filmtage-Programm greift Themen auf, die laut Badewitz »um die nächste Hausecke passieren«. Unter den Beiträgen aus Deutschland ist die Zahl der Dokumentationen erstmals größer als die der Spielfilme. Besonders interessant: SCHWARZ AUF WEISS von dem Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff, der bei einer Reise durch Deutschland untersucht, wie man hierzulande im Alltagsleben auf Fremde, besonders solche mit schwarzer Hautfarbe, reagiert. Ergebnis: Man will sie »nicht dabei haben«.
»Wir zeigen das Leben in allen Facetten.«
… sagt Heinz Badewitz, als er das Programm der 44. Filmtage im Jahr 2010 vorstellt. Chris Kraus präsentiert sein neues Werk POLL, aus Frankreich kommt CARLOS – DER SCHAKAL, ein 190 Minuten langer Spielfilm über den meistgesuchten Terroristen der 70er- und 80er-Jahre, und aus den USA der sensationelle Ballett-Thriller BLACK SWAN, gedreht von Darren Aronofsky, der sein Hof-Debüt 1998 mit einem experimentellen Science-Fiction-Film gab: PI. Die Werkschau widmet sich dem New-Hollywood-Regisseur Bob Rafelson, der seine Sachen »keinesfalls mit großen Filmen, sondern nur mit kleinen vergleichen« will. Und den Filmpreis der Stadt, der zum 25. Mal verliehen wird, nimmt Oscar-Gewinnerin Caroline Link entgegen; sie war, wie einst Doris Dörrie, in ihren Anfängen bei den Filmtagen als Gästebetreuerin tätig.
Im Jahr darauf geht der Filmpreis an Peter Kern, der für wenig Geld Filme über große Themen dreht und viele davon beim Hofer Festival zeigte. Wie Kern ist auch der Laudator aus Wien angereist, er stammt aber aus Hof: Der Feuilletonist Helmut Schödel. Hofer Schauplätze kommen in dem Film vor, den das einheimische Publikum mit Spannung erwartet. Er heißt DAS UNSICHTBARE MÄDCHEN und wurde vom Fall der verschwundenen kleinen Peggy aus Lichtenberg bei Hof inspiriert. Viel Beifall erhält auch ein Film, der den Titel DIE UNSICHTBARE trägt und von einer Schauspielstudentin erzählt, die alles tut, um nicht aufzufallen; als Regisseur fällt Christian Schwochow auf.
Aufregend ist die Werkschau des Briten David Mackenzie, dessen neuer Film PERFECT SENSE sich als sensationelles Endzeitdrama erweist, in dem durch eine rätselhafte Epidemie die Welt, wie wir sie kennen, zusammenbricht. Dies wird verbunden mit einer intimen, poetischen Liebesgeschichte. So aufwühlend war Apokalypse noch nie.
Dass 2012 auf die auch »Porträt« genannte Werkschau verzichtet wird, hat einen Grund: Rosa von Praunheim wird siebzig – und zeigt siebzig Filme, die zusammen zwanzig Stunden dauern und auf 13 Sonderprogramme aufgeteilt werden. Ansonsten:
»Bei uns gibt es alles, was das Kino zu bieten hat.«
… sagt Heinz Badewitz – Nachdenkliches und Gewichtiges, aber auch reichlich Entertainment. Das private Leben, die Suche nach dem Glück und die Sexualität spielen eine bedeutende Rolle. Spannendes kommt aus Amerika: KILLING THEM SOFTLY mit Brad Pitt, der Thriller COLD BLOOD von Österreichs Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky und THE SESSIONS, dessen Hauptfigur, ein gelähmter Journalist, mit 38 Jahren seine Jungfräulichkeit verlieren will. Geist und Witz, Poesie und tiefgehende Menschlichkeit prägen diesen Film, der allerdings den nicht sehr freundlichen Satz enthält, Deutschland sei das einzige Land der Welt, »wo Humor verboten ist«.
2013 ist wieder ein gutes Jahr für den deutschen Film. Es überzeugen HOUSTON von Bastian Günther, WESTEN von Schwochow, Frederik Steiners UND MORGEN MITTAG BIN ICH TOT über Sterbehilfe für Schwerstkranke und HANNAS REISE von Julia von Heinz. Aus Großbritannien kommen die hinreißenden Meisterwerke LE WEEKEND und STILL LIFE, die beide zu unspektakulär und zu gut fürs Alltagskino sind und darum genau richtig für ein Festival wie dieses. Erstmals wird bei der Hans-Vogt-Preis bei den Filmtagen verliehen – Edgar Reitz erhält ihn –, der an einen Pionier des Tonfilms aus dem heute zur Nachbarstadt Rehau gehörenden Dorf Wurlitz erinnert. Als Laudator für die mit dem Hofer Filmpreis geehrte österreichische Regisseurin Barbara Albert hat Peter Kern seinen letzten Auftritt beim Festival.