Aus der Not eine Tugend
Der Begriff »Double Feature«, der eigentlich bedeutet, dass man in einem Doppelprogramm zwei Filme zum Preis einer Kinokarte anschauen kann, wurde 2020 in Hof neu definiert: Die 54. Filmtage gingen als Double-Feature-Festival über die Bühne. Denn zum ersten Mal bei einem Festival in Deutschland wurden alle Filme, 71 lange und 54 kurze, doppelt präsentiert. Sie liefen nicht nur im Kino, sondern konnten deutschlandweit unter »HoF on Demand« auch online gesehen werden, Letzteres sogar 13 Tage lang, also eine Woche über das sechstägige Präsenz-Festival hinaus. Schuld daran war, wie an so vielem in diesem verrückten Jahr, die Corona-Pandemie, durch die seit März nicht zuletzt auch das Kulturgeschehen extrem eingeschränkt wurde. Das Filmtage-Team bot deshalb ein duales Festival an. Neben Filmen wurden auch Talk-Runden gestreamt. Pro Tag produzierten die Filmtage fast sechs Stunden eigene Inhalte und als erstes Festival überhaupt eine eigene »Late Night Talk Show«, den GastHoF, mit interaktiver Zuschauerbeteiligung und vielen interessanten Gästen.
»Es ging darum, dem Kino ein Fest zu bereiten und ein Zeichen für die Branche zu setzen: Wir sind noch da!«
Zwar kamen, nach 30.000 Besuchern im Vorjahr, diesmal lediglich 4.700 in die Kinos, die nur spärlich besetzt werden durften. Aber von Fans, die zu Hause blieben, wurden mehr als 17.000 Filmabrufe getätigt. Das Programm, das mit UND MORGEN DIE GANZE WELT gestartet wurde – Regisseurin Julia von Heinz verarbeitet darin das eigene politische Engagement ihrer Jugendzeit -, konnte sich sehen lassen. In Filmen aus vielen Ländern, von Argentinien bis Indien und von Mexiko bis zum Irak, ging es um aktuelle, oft brisante Themen, eine der Überraschungen hieß FORCE OF HABIT (Macht der Gewohnheit), kam aus Finnland und behandelte klug, kühn und sogar komisch die MeToo-Thematik. Es gab neben politischem auch »schräges Kino«, etwa den isländischen Vampirfilm THIRST des Regie-Duos Gaukur Ulfasson und Steinbor Hroar, Schwerpunkte waren der »starken Familie« und »starken Sehnsüchten« gewidmet. Hinzu kam ein Special zum Thema »Leaving home … coming home« mit drei Filmen des österreichischen »Radikalen« Ludwig Wüst.
Im Mittelpunkt stand wie immer der deutsche Film, der unter anderem mit der gerade in Corona-Zeiten beängstigenden Dystopie ENDJÄHRIG von Willi Kubica, dem frechen Kammerspiel BABY BITCHKA von Anna Maria Roznowska und der Dokumentation AWARE – REISE IN DAS BEWUSSTSEIN von Eric Black und Frauke Sandig überzeugte. RIVALE von Marcus Lenz erhielt den Förderpreis Neues Deutsches Kino, TOPRAK von Sevgi Hirschhäuser den Hofer Goldpreis.
Einer Redensart zufolge gewöhnt man sich ja an alles. Ein wenig trifft das sogar auf Filmfestivals unter Pandemiebedingungen zu. Die Internationalen Hofer Filmtage jedenfalls, die auf ein bewährtes Konzept aus dem Vorjahr zurückgreifen konnten, meisterten auch in ihrer 55. Auflage alle Probleme. Wieder konnten die meisten der 67 langen und 51 kurzen Filme sowohl in den Kinos als auch, unter »HoF on Demand«, online angeschaut werden.
Sogar eine Dokumentation über das Leben mit Corona war zu sehen. Sie hieß ISOLATION und umfasste fünf Episoden europäischer Filmemacher, unter ihnen als einzige Frau die Deutsche Julia von Heinz, die vom Festival 2021 den Filmpreis der Stadt mit nach Hause nahm; ihr Freund und Mentor Rosa von Praunheim hielt die Laudatio.
»Intensive Filmtage, die kein bisschen leise sein sollen.«
…hatte der künstlerische Leiter Thorsten Schaumann versprochen. Lustig waren sie auch: Der Eröffnungsfilm DAS SCHWARZE QUADRAT von Peter Meister erwies sich als so komisch und mitreißend, dass er mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino ausgezeichnet wurde. Den Hofer Goldpreis fürs beste Spielfilmdebüt teilte Philip Gröning als Juror zwischen Alisa Kolosova für CHARLY und Lukas Röder für GEHIRNTATTOO. Zum abermals umfangreichen HoF-PLUS-Rahmenprogramm gehörten auch zahlreiche Gespräche, Diskussionsrunden und eine sogenannte Master-Class mit dem amerikanischen Regisseur Abel Ferrara, der in deutscher Erstaufführung seinen neuen Film ZEROS AND ONES vorstellte.
Die Zahl der Besucher in den Kinos war doppelt so groß wie im Jahr zuvor, ähnlich stark stieg die der Fachbesucher an, es kamen diesmal mehr als 650. Unter den Filmen war in allen Abteilungen — Spielfilm, Doku und Kurzfilm — viel zu entdecken, zum Beispiel PASSION SIMPLE aus Frankreich nach einem Buch von Annie Ernaux, der surreale Frauenfilm TRÜMMERMÄDCHEN von Oliver Kracht, der bewegende Flüchtlingsreport THE GAME: SPIEL ZWISCHEN LEBEN UND TOD von Manuela Federl oder David Preutes Banker-Krimi ROGUE TRADER.
»Starken Eindruck hinterließen auch die HoF-Classics aus den Achtzigerjahren und die Hommage an den Schauspieler Joachim Król, die acht Spielfilme und die Geschichte der Fußballhymne YOU’LL NEVER WALK ALONE umfasste.«
Król, bekennender Fußballfan und lange Zeit im Team des FC Hofer Filmtage aktiv, begnügte sich diesmal beim traditionellen Match gegen den FC Filmwelt damit, den Anstoß auszuführen. Bereichert wurde das Festival durch ein Gastspiel des Vereins Insel-Kino aus Rodewisch im Vogtland, der seinen Kino-Bus in der Altstadt stationierte und vier Tage lang Kurzfilme aus dem Filmtage-Programm vorführte. Normalerweise ist der Bus in Gegenden unterwegs, in denen das nächste Kino weit weg ist.