Politische Brisanz und Humor
Das absolute Highlight der 56. Internationalen Hofer Filmtage kam aus den USA und hieß THE MENU. Die titelgebende exklusive Speisenfolge wird einer ebenso exklusiven Abendgesellschaft gereicht und bildet den Höhepunkt im Lebenswerk eines von Ralph Fiennes gespielten Starkochs. Was geschieht, ist sensationell, schockierend, atemberaubend – und schrecklich komisch dazu.
Filme mit politischer Brisanz aus aktuellen Konflikt- und Krisengebieten unterstrichen die Bedeutung des in diesem Jahr unter dem Motto »Gesellschaft – Wandel als Chance« stehenden Festivals. Zu sehen waren INTO THE DARKNESS von Mariia Shevchenko aus der Ukraine über die russische Invasion in ihrem Land sowie zwei Beiträge aus Iran, wo die Frauen derzeit durch ihren Freiheitskampf Schlagzeilen machen. Arian Vazirdaftari schildert in BI ROYA – WITHOUT HER eindringlich die Unterdrückungsmethoden des Regimes, in dem Kurzfilm NOGHREH beschäftigt sich Donya Madani, die nur unter großen Schwierigkeiten nach Hof hatte ausreisen können, mit der Kinderarbeit im Land.
»Aber natürlich sind die Internationalen Hofer Filmtage auch in ihrer 56. Auflage wie immer und eher noch mehr als sonst ein Festival des deutschen Films.«
Die Zahl der im Wortsinn »ausgezeichneten« Filme nimmt weiterhin zu. Im Jahr 2022 wurden nicht weniger als zehn Preise vergeben, der älteste, der seit 1986 als Filmpreis der Stadt Hof verliehen wird, ging an die 1966 in Ost-Berlin geborene Regisseurin Aelrun Goette, die 2003 mit DIE KINDER SIND TOT und danach noch mit zwei weiteren Premieren am Festival teilnahm. Gleich zweimal ausgezeichnet wurde die zur Festival-Eröffnung gezeigte deutsch-deutsche Komödie OLAF JAGGER von Heike Fink mit dem populären Komiker Olaf Schubert in der Hauptrolle.
Einen besonderen Charakter gewinnen die Filmtage mehr und mehr durch ihr breit gefächertes, vom umtriebigen Festivalleiter Thorsten Schaumann initiiertes und persönlich betreutes Rahmenprogramm, das 2022 auch von der neuen »Begegnungsstätte« im traditionsreichen Haus Bürgergesellschaft profitierte. Bereits zum dritten Mal wurde das Programm hybrid angeboten: Die meisten Filme waren nicht nur in Hofer Kinos, sondern auch online zu sehen, womit das Festival eine bislang kaum vorstellbare Reichweite gewann.
»Was 2020 aus Gründen der Corona-Pandemie als Notlösung anfing, soll nun Normalität werden: Hof bleibt hybrid.«
Der Eröffnungsfilm der Hofer Filmtage war bei der 57. Auflage mit so viel Spannung erwartet worden wie nie zuvor. Kein Wunder, denn mit 15 JAHRE setzt Chris Kraus die Geschichte der VIER MINUTEN fort, die im Festivaljahr 2007 das Publikum begeistert hat. Nach Verbüßung einer Gefängnisstrafe – für einen Mord, den sie nicht begangen hat – begegnet die Pianistin Jenny (Hannah Herzsprung) ihrem früheren Geliebten wieder, der zugleich ihr Peiniger war; es kommt zu einem Duell auf Leben und Tod. Damit schlägt der Film eines der Hauptthemen dieses Festivals an: Wer wollte, konnte immer wieder Anteil an Liebes- und Machtkämpfen nehmen – von TWINS IN CRIME und FOUR LITTLE ADULTS bis zu POWER OF LOVE und Detlef Bothes heftigem Drama DEINE SCHÖNE HÖLLE. Erholung von solchen Beziehungsproblemen gewährte die irisch-finnische Koproduktion MY SAYLOR, MY LOVE, in der ein pensionierter Kapitän und seine verwitwete Haushälterin in melancholischer Landschaft eine späte Romanze erleben.
»Die insgesamt 154 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme griffen aber auch hochpolitische Themen auf, darunter Migration und Ausbeutung, Klimakrise und Umweltschutz.«
Den Förderpreis Deutsches Kino verdiente sich Tuna Kaptan, dessen Spielfilm ROHBAU um einen tragischen Unfall kreist, bei dem ein albanischer Schwarzarbeiter ums Leben kommt; den Hofer Kritiker Preis für die Beste Regie erhielt Robert Gwisdek für DER JUNGE, DEM DIE WELT GEHÖRT, eine Allegorie auf das Leben in sich verdunkelnden Zeiten; der in Erinnerung an Festivalgründer Heinz Badewitz verliehene Friedrich-Baur-Goldpreis ging an den Film DANN LIEBER STERBEN, in dem sich Pauline Schläger sensibel mit den Reaktionen junger Leute auf den Selbstmordversuch eines Freundes beschäftigt.
Die traditionelle Werkschau war der erfolgreichen deutschen Regisseurin Maria Schrader gewidmet, mit dem Filmpreis der Stadt Hof wurde der Verleiher, Regisseur und Produzent Stefan Paul geehrt, der dem Festival auch durch Teilnahme am samstäglichen Fußballspiel, das der FC Filmtage diesmal mit 2:1 gewann, seit langem verbunden ist.
Die Festivalleitung zog am Ende eine positive Bilanz. Besonders erfreulich: Die Besucherzahl ist nach dem Einbruch in den Corona-Jahren wieder angestiegen, auch das Rahmenprogramm HoF PLUS fand viel Interesse, ganz besonders die Deutschlandpremiere des Projekts HoFXR, das »extended reality« einbezieht.
Ralf Sziegoleit, der Autor dieses Beitrags, ist Kulturjournalist.
Er leitete viele Jahre lang das Kulturressort der in Hof erscheinenden Frankenpost, für die er seit 1967 über die Filmtage berichtet.