Wegweisende Veränderungen
1972 wird der Termin des Festivals auf Anfang November verlegt, die Dauer auf vier Tage verlängert. »Die Zeit des Experimentierens ist nun vorbei«, erklärt Badewitz. Womit gesagt sein soll, dass der kurze Film als Impulsgeber keine große Rolle mehr spielt, der junge Film drängt abendfüllend ins Kino-Programm. Neun lange Filme, ergänzt um 21 kurze, bilden den Schwerpunkt der insgesamt elf zweistündigen Programme. Unter dem, was da ins Kino drängt, fallen die dokumentarischen Spielfilme LIEBE MUTTER, MIR GEHT ES GUT und DIE WOLLANDS angenehm auf. Eher unangenehm: Es ist Zuschauerschwund zu beklagen.
Und dann auch das noch: Das Hofer Nachtleben büßt seine größte Attraktion, das »Resi«, ein. Bis 1973 wird dort, laut Süddeutscher Zeitung, »der schärfste Strip jenseits des Kiez von St. Pauli« geboten – so steht es in einem Festival-Bericht, der die Stadt Hof mit dem Satz vorstellt, es rieche dort »überall nach Bratkartoffeln«.
»Kino soll wieder Spaß machen.«
So lautet Badewitz’ Motto für die achte Auflage der Filmtage im Jahr 1974. Oder, in etwas anspruchsvollerer Formulierung: »Wir wollen gesellschaftlich relevante Filme zeigen, die den Sehgewohnheiten eines breiten Publikums entgegenkommen.« Für den Spaß sorgen vor allem amerikanische Filme: John Waters zeigt PINK FLAMINGO, Busenfetischist Russ Meyer wirft in einem hysterischen Kleinstadtdrama die Frage auf: HOW MUCH LOVING DOES A NORMAL COUPLE NEED? Aber das Highlight liefert, wieder einmal, Werner Herzog mit seiner Kaspar-Hauser-Story JEDER FÜR SICH UND GOTT GEGEN ALLE.
1975 meldet Badewitz schon nach neun von elf Vorstellungen Besucher- und Einnahmenrekord. Wozu anzumerken ist, dass mindestens 8000 Mark des knappen Etats, der ursprünglich 19.500 Mark betragen sollte, durch Zuschusskürzung aber auf 17.000 Mark geschrumpft ist, an der Kasse eingespielt werden müssen. Kommentar eines Oberhausener Festival-Gastes: »Mit dem Geld, das hier insgesamt zur Verfügung steht, finanziert man anderswo gerade das Eröffnungsbankett.«
Zu sehen sind Uraufführungen deutscher Spielfilme von Kückelmann, Lilienthal und Bitomsky. Erstmals ist auch ein Beitrag aus der DDR dabei (FÜR DIE LIEBE NOCH ZU MAGER?), der sich als pfiffig erweist, und der Pole Kieslowski, später berühmt und mit dem ersten Europäischen Filmpreis geehrt, imponiert mit DAS PERSONAL, das Machtverhältnisse in der Belegschaft eines Opernhauses schildert. Fazit eines Kritikers:
»Das frisch-fröhliche Provinzfest hat sich zur kulturellen Attraktion gemausert.«
Vom »Fest für das Kino« spricht im Jahr darauf, als im umgebauten Drei-Kino-Haus das zehnte Festival stattfindet, die Wochenzeitung Die Zeit. Eine neue Leidenschaft fürs Kino scheint in Hof ausgebrochen zu sein. Für nahezu alle Vorstellungen wird »ausverkauft« gemeldet. Das Publikum bejubelt Erwin Keuschs DAS BROT BACKT DER BÄCKER (Verleihtitel: DAS BROT DES BÄCKERS), Volker Schlöndorff zeige DER FANGSCHUSS, Alain Tanner aus der Schweiz seinen JONAS, und zum ersten Mal gibt es eine Retrospektive – und mit ihr einen Gast aus Übersee: Brian De Palma. OBSESSION heißt sein damals neuer Film, den er in der Werkschau zusammen mit PHANTOM OF THE PARADISE und HI MOM, mit SISTERS und GREETINGS vorstellt.
45 Journalisten berichten über die Hofer Jubiläums-Filmtage und loben, was sie erlebt haben. Die Frankfurter Rundschau:
»Eines der liebenswertesten Festivals der Welt.«