Chris Kraus, Regisseur und Autor, Foto: Roland Horn

Chris Kraus

HoF ist aus vielen Gründen einzigartig und weltberühmt. Entwicklungen anderer einzigartiger und weltberühmter Festivals (Cannes, Venedig, Toronto – München gehört natürlich nicht dazu) werden dennoch genauestens beobachtet, ausgewertet und adaptiert. Heinz Badewitz nannte das „Abgucken, aber nur das Gute“. Herausgekommen ist dabei zum Beispiel das „Clubgespräch mit Filmschaffenden“. Unendlich früh am Morgen, also so um 11 oder 12 Uhr, gewissermaßen mitten in der Nacht, redet ein gut vorbereiteter BR-Moderator in einem sehr dunklen Kinosaal mit augenberingten und resttrunkenen Darstellern und Regisseurinnen über ihren Film vom Vorabend.

Das Clubgespräch zu DIE BLUMEN VON GESTERN

Als uns das mit DIE BLUMEN VON GESTERN geschah, saßen der wie aus dem Ei gepellten Hannah Herzsprung, dem äußerst munteren Lars Eidinger und einem derangierten Filmemacher (mir) ein Publikum von 20 Zuhörern beiderlei und vielleicht auch partiell undefinierbaren Geschlechts gegenüber. Einige waren da, weil sie nicht anders konnten (Verleihabgeordnete, PR-Betreuung). Ein frisches Bergsteigergesicht fiel auf, da es direkt vor uns saß und unentwegt strahlte (vermutlich ein Hofer, der für nichts anderes mehr Karten bekommen hatte, wobei, das Clubgespräch ist gratis). Nicht nur die Weltpresse war vor Ort: eine Inderin, die für das Goethe-Institut in Bangalore schrieb. Auch die deutsche Medienlandschaft hatte sich eingefunden, mit zauseliger Frisur und freundlichen Schildkrötenaugen. Blöderweise schlief die deutsche Medienlandschaft sofort ein, als Lars zu erzählen begann. Und obwohl die deutsche Medienlandschaft in die letzte Reihe gekrochen war, um dort einzuschlafen, entging Lars diese unerhörte Taktlosigkeit nicht.

Der Schlaf des ungerechten Publikums

Man muss wissen, dass Schauspieler es nicht sehr gerne haben, wenn ihre Darbietungen mit dem Schlaf des ungerechten Publikums quittiert werden. Lars, einer der wunderbarsten Menschen, die ich kenne, ist aber speziell. Er kann sogar richtig streng werden, wenn ihm auch nur geringste Spuren von Müdigkeit im Zuschauersaal auffallen. Als er daher die originalschlafende Medienlandschaft entdeckte, sagte er laut: „Sag mal, pennt die da?“ Erstaunlicherweise aber wachte die deutsche Medienlandschaft nicht auf, denn der vorherige Abend war wirklich sehr schön gewesen. Lars rief daher: „Kann die mal jemand anstumpen bitte?“ Die deutsche Medienlandschaft hatte jedoch dafür gesorgt, dass niemand in ihrer Nähe saß. Drum lag sie ja in der letzten Reihe.

Kein Mensch erhob sich. Als die peinliche Stille andauerte und Lars Anstalten machte, selbst aufzustehen, über alle Kinositze zu klettern und die Dame auf eine Weise aufzuwecken, die sie gewiss nie wieder im Leben vergessen hätte, griff ich seinen Arm und raunte: „Du, das ist die Frau Müller, eine bekannte Kritikerin, und wenn du die Frau Müller jetzt aufweckst, mag sie unsern Film nicht mehr“. Lars, der noch nie zuvor in Hof gewesen war, wandte sich an das in diesem Augenblick sehr wache Publikum und fragte, ob das stimmen würde. Nur der frische und lächelnde Hofer nickte. Von den entsetzten Verleihabgeordneten und der PR-Betreuung lächelte und nickte niemand. Und er sprach: „Aber die kommt nicht von hier.“

Hof hat ein wirklich wunderbares Publikum, finde ich. Und Lars fand das auch.

Chris Kraus
Regisseur und Autor

Filme in HoF:
VIER MINUTEN 2006
BELLA BLOCK – REISE NACH CHINA 2007
POLL 2010
ROSAKINDER (Episode) 2012
DIE BLUMEN VON GESTERN 2016

Preise:
Filmpreis der Stadt Hof 2014

Foto:
Roland Horn