Hans-Joachim Albinus

Das erste Mal und die Suche nach einer Unterkunft: 2005 war ich das erste Mal in Hof – stets als normaler Festivalbesucher – und danach jedes Jahr wieder mit Ausnahme von 2020, als ich nur am Streaming teilgenommen hatte. Der Entschluss für 2005 fiel recht spät, und umso schwerer war es, für – damals nur 5 Tage – eine Unterkunft zu bekommen. Nach tagelangem Telefonieren und kurz vor der Aufgabe war nur in einem Hotel in der Sedanstraße am Bahnhof etwas frei geworden, ein einfaches, sauberes Zimmer mit Bad, aber mit einem guten Frühstück und außerordentlicher Freundlichkeit der Hotelbesitzer und extra verlängerten Frühstückszeiten für die „Leute vom Film“. Dieses Zimmer habe ich heute noch in Hof; wenn ich abreise, reserviere ich gleich für das folgende Jahr.

Im Laufe der Zeit habe ich dort beim Frühstück Neues über die Entwicklungen in der Stadt Hof erfahren, aber auch Persönliches über die Familie der Wirtin, und interessante Gespräche mit anderen Filmtage-Besuchern geführt. Diese Atmosphäre schätze ich sehr und bleibe dem „Posthorn“ treu, auch weil es so nah am Bahnhof liegt. Und nicht zu vergessen, für einen langen Filmtag gibt es meist noch Proviant (Bananen, Gebäck etc.) mit auf den Weg.

Das Wetter

Die Ankunft in Hof war früher immer eine Überraschung. Ich fahre von Leonberg über Stuttgart und hatte dort oft noch mildes Herbstwetter, in Hof lag dann überall Schnee. Den Erzählungen über meterhohen Schnee zu den Filmtagen konnte ich anfangs nicht glauben, bis ich einmal selbst erlebte, wie Hof zwei Tage von der Außenwelt abgeschnitten war, kein Zug und kein Lkw erreichte mehr die Stadt. Heute ist auch in Hof der Klimawandel angekommen, bei frühlingshaften Temperaturen kann man auf dem Balkon über dem Central-Kinocenter sitzen. Der eingeborene Hofer trägt dann sogar nur T-Shirt.

Die Anreise

Anfangs fuhr noch ein D-Zug von Stuttgart nach Dresden mit über eine halbe Stunde Aufenthalt in Nürnberg, wo die Kurswagen nach Prag abgekoppelt wurden. Man konnte also entspannt sitzenbleiben und seine Zeitungen weiterlesen. Dann gab es einen IC nach Nürnberg, von dort einen nach Dresden. Wie oft ist mir und anderen Reisenden nach Hof der Zug in Nürnberg vor der Nase weggefahren! Dann hat wegen notorischer Unpünktlichkeit die Deutsche Bahn den zweiten IC in einen IRE nach Hof und einen von dort nach Dresden aufgeteilt, besser ist es dadurch nicht geworden. Auf Hin- und Rückfahrt jedes Mal das gleiche Vabanquespiel – erreiche ich den Anschluss in Nürnberg oder nicht? Und inzwischen ist der Anschluss in Stuttgart genauso störanfällig. An- und Abreise sind also stets Stress.

Das Festival-Programm und die persönliche Filmauswahl

Der erste Tag in Hof (jetzt Dienstag) ist ritualisiert. Ich besorge den ausführlichen gedruckten Festival-Katalog und einen Programmflyer, setze mich in eines der Cafés, arbeite den Katalog vollständig durch und stelle im Flyer mein Programm mindestens für die ersten Tage zusammen, kaufe möglichst noch am ersten Tag die Karten für den Eröffnungsfilm und den folgenden Tag. Im Katalog werden auch nach jeder Vorstellung die Eindrücke festgehalten mit einer Bewertung wie bei Stiftung Warentest (von — bis ++; siehe Foto). Die potenziell interessanten Filme kondensieren sich dann im Programmflyer durch Kartenumtausch, Abhängigkeit von Vorführungs- und Wegezeiten zwischen den Sälen und Kinocentern, Reserven für Einkauf oder Imbiss etc. zu einer mehrfach geänderten Grafik, an Hand derer sich der Ablauf meines Hof-Besuches auch später noch eindeutig rekonstruieren lässt (siehe Foto).

Für ein Abendessen bleibt meist keine Zeit, nicht so schlimm dank dem Hotelproviant. Alle Kataloge und Programmflyer habe ich übrigens noch verwahrt (siehe Fotos). Sie dienten mir nach Rückkehr bei Gesprächen im Kollegenkreis auch zum Beleg bei der Frage „Wie viele Filme haben Sie denn gesehen?“ Meine Antwort: „Etwa 30 Langfilme plus …“, dann herrscht erst einmal ungläubiges Schweigen.

Eintrittskarten, Berechtigungskarten, Flyer, Zeitungsberichte, Postkarten, Werbegeschenke

Der Kartenkauf

Beim ersten Mal war ich noch naiv, hatte gedacht, ich könnte noch eine Ermäßigungskarte bekommen, musste mich nach langem Anstehen vor dem Kassencontainer aber eines Besseren belehren lassen. Dort gab es Karten nur für diesen Tag und den darauffolgenden, d.h. es war tägliches Warten angesagt bei Wind und Wetter, Regen und Schnee. Wann man für welche Tage im Voraus kaufen konnte, änderte sich nicht nur von Tag zu Tag, sondern auch in den folgenden Jahren immer wieder, wohl um die Spannung noch zu erhöhen. Das System der Nummerierung für die Tickets blieb jedoch über alle Jahre gleich (1. Ziffer = Kinosaal, 2. Ziffer = Festivaltag, 3. Ziffer = Vorstellung im betreffenden Saal). Ich habe mich oft gefragt, warum man den Festivaltag nicht an den Anfang setzt, denn die Kartenverkäufer – insbesondere, wenn sie neu sind – kommen damit auch nur schwer zurecht. Immer wieder einmal bekomme ich daher beim Kauf die eine oder andere falsche Karte, die ich später wieder umtauschen muss.

Irgendwann hatte ich mich allerdings zu Ermäßigungskarten hochgearbeitet, dann ist der Kauf nicht mehr ganz so stressig, und zur Hälfte des Festivals habe ich alle Karten zusammen, die ich brauche. Früher konnte ich die Vorstellungen um 18 Uhr herum nicht besuchen, weil ich am Container für noch fehlende Karten mit letzter Chance anstehen musste. Zweimal in den 15 Jahren Hof habe ich die Einlasskontrolle auch mit einem Geldschein bestochen, weil ich einen mir besonders wichtigen Film (auf der Treppe stehend) sonst nicht hätte sehen können. Jetzt komme ich zu mehr Vorstellungen, dafür aber kaum zum Abendessen, auch die netten Gespräche in der Schlange mit Besuchern, die man noch von den Vorjahren kannte, sind dadurch weggefallen. Alle Eintrittskarten habe ich noch verwahrt, ebenso alle Ermäßigungs-Berechtigungen (siehe Foto).

Die Sehenswürdigkeiten in Hof

In den ersten Jahren meiner Hof-Besuche ohne Ermäßigung hatte ich, wenn ich keine Karte bekommen hatte, tagsüber manchmal etwas Zeit, um Hof und seine Sehenswürdigkeiten zu erkunden. Die freundliche Dame im Tourismus-Büro war erstaunt, dass ein Filmtage-Besucher danach fragt, vielleicht war ich der erste. So kam ich auf den alten Rathausturm, in den Theresienstein-Park, an die Saale, in die Lorenzkirche, und ging auf Jean Pauls Spuren durch die Stadt. Hof war für mich Anlass, mich mit Jean Paul etwas intensiver zu beschäftigen. „Dr. Katzenbergers Badereise“ hatte ich vorher schon mit Genuss gelesen. Die Highlights, die zu Fuß erreichbar sind, hat man doch recht schnell angeschaut, und man kann verstehen, dass Jean Paul von seinem Kuhschnappel nicht so recht begeistert war.

Die Moderatoren

Nach der Filmauswahl ist die Moderation das A und O eines Filmfestivals. Es gibt Selbstdarsteller, In¬sistierende, die auch zu einem dreiminütigen Kurzfilm aus dem Publikum noch 20 Fragen herauskitzeln wollen, auch wenn dieses schon den Hauptfilm herbeisehnt, Schüchterne, die sich von Regisseur und Produzent oder auch Publikum das Heft aus der Hand nehmen lassen etc. Moderation kann (und sollte) man aber lernen.

Mein Lieblingsmoderator ist in den vielen Jahren Markus Mörth geworden, pünktlich, gut auf den Film vorbereitet, informiert, souverän, die Fragen aus dem Publikum berücksichtigend, aber auch die Uhr im Blick behaltend. Nichts ist schlimmer als ein Moderator, der zu spät beginnt, die Redezeiten überzieht, nicht eingreift. Der Zeitplan kommt durcheinander, und alle Besucher, die Karten für darauffolgende Filme haben, auch in anderen Sälen, bekommen Probleme. Wie oft bin ich deshalb mit hängender Zunge zwischen Scala und Central hin und her gehetzt. Unerreicht in seiner Art war natürlich auch Heinz Badewitz, der sich nicht scheute, jemandem das Mikrophon freundlich, aber bestimmt zu entwinden.

Die Stadt Hof und ihre Veränderungen

Vom Hotel führt mich am Vormittag mein Weg zu den beiden Kinocentern und abends zurück, so gibt es noch etwas Bewegung zum Ausgleich für das lange Sitzen. Über die Jahre habe ich nun auf verschiedenen Routen Hofs städtische Entwicklung verfolgen können. Die alten Häuser wurden papageienfarben – offensichtlich gibt es keine Gestaltungssatzung, Zentralkauf- und Kaufhof-Gelände verkamen zu Investorenfriedhöfen, die Second-Hand-Läden nahmen zu, die Fachgeschäfte sterben zugunsten vieler Läden mit Billigangebot. Es gibt viele Leerstände; das ist natürlich nicht nur in Hof so. Bedauerlich, dass es Geschäfte, in denen ich für die Daheimgebliebenen immer Schokolade, Pralinen, Lebkuchen gekauft hatte, nicht mehr gibt. Auch der verkaufsoffene Sonntag ist zusammengeschrumpft. Tschechisch wurde anfangs öfters, nun weniger gesprochen. Fällt Hof in die Zeiten der alten Zonenrandgebietslage zurück? Hat die wirtschaftliche Bedeutung des Festivals für Hof abgenommen?

Die Ausstellung zum 40. Jubiläum, Rahmenprogramm

Bei den 40. Filmtagen war das noch anders, die Geschäfte, auch in der Vorstadt, hatten fast alle be-sonders dekoriert, sogar Beate Uhse (bei der früheren „Weißen Wand“, zu sehen noch in Wim Wenders‘ IM LAUF DER ZEIT) hatte alte Filmplakate ins Schaufenster gehängt, und bei den Bäckern gab es Plätzchen in Filmdosen, bei den Metzgern Hofer Wurst. Zwei dieser Dosen habe ich noch (ohne Wurst, siehe Foto). Die Filmtage selbst hatten auch ein schönes Rahmenprogramm mit Ausstellungen etc. auf die Beine gestellt, so etwas fehlt mir beim heutigen Festival. Zum Jubiläum wurde eine spezielle Filmtage-Schokolade von der Fa. Zotter produziert und Reste noch im nächsten Jahr verkauft. Als ich später wieder danach fragte, hieß es nur „Ach, Sie waren das, der letztes Jahr welche gekauft hatte.“ Die Schokolade gab es nicht mehr (wg. Haltbarkeitsdatum), so wie das Geschäft selbst heute auch verschwunden ist.

Die Besucher, Stars und Heinz Badewitz

Ich bin immer gerne nach Hof gekommen, weil das Festival so ungezwungen und schon fast von familiärem Charakter ist, ohne Sicherheitsdienst, Absperrungen, Starallüren. Ich erinnere mich gerne an Gespräche mit Heinz Badewitz, wir kannten uns vom Sehen, der immer „tolle“ Filme empfahl, bei denen ich mich aber auch einige Male hinterher fragte, warum er sie ins Programm genommen hatte.

Mit Christian Petzold, der einmal auch mit seinem kleinen Sohn da war, habe ich mich nett unterhalten, mit Axel Prahl, mit Nora von Waldstätten 2008 nach ihrem ersten Film in Hof, TANGERINE von Irene von Alberti, lange diskutiert, sie wirkte damals noch wie eine Studentin, in Parka und Winterpullover, ungeschminkt, mit dicker Brille, und und und … Diese Nähe zu anderen Besuchern, Schauspielern und Regisseuren, die dort ganz unprätentiös auftreten, ist sehr angenehm. Eine Schauspielerin oder einen Regisseur, die man bei den meist interessanten Clubgesprächen etwas gefragt hatte, traf man am nächsten Tag beim Einkaufen. Ein bisschen Glamour gab es früher auch, den insbesondere die Filmschauspielerinnen aus Asien oder Osteuropa verbreiteten. Nie vergessen werde ich Lou Castel, von dem eine Retrospektive lief, u.a. war er in IRMA VEP von Olivier Assayas zu sehen als gescheiterter Filmregisseur. Badewitz stellte ihn vor, er sollte etwas sagen, konnte aber nicht, weil er in Paris sein künstliches Gebiss vergessen hatte.

Hans-Joachim Albinus, seit 2005 dabei
Hans-Joachim Albinus, Leonberg, bis zum 53. Festival Ministerialrat im Innenministerium Baden-Württemberg, seitdem etwas früher als ursprünglich geplant im Ruhestand

Fotos:
Hans-Joachim Albinus